Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Befragung der Bundesregierung vom 27.10.2010

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften

Ausschnitt  Redebeitrag Dr. Max Stadler

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Kilic, zu Ihren strafrechtlichen Fragen darf ich noch auf Folgendes aufmerksam machen: Zunächst einmal sind wir alle uns sicherlich einig, dass es ein elementares Menschenrecht ist, selber frei zu entscheiden, ob man eine Ehe eingeht und, wenn ja, mit wem.
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Dass dieses elementare Menschenrecht durch die Rechtsordnung, auch durch das Strafrecht, geschützt werden muss, ist unstreitig. Hinzu kommt jetzt, dass es beim Rückkehrrecht Verbesserungen für die Opfer gibt; das hat Herr Minister de Maizière ausgeführt.
Die Koalition aus SPD und Grünen hat das, was die strafrechtliche Seite angeht, übrigens genauso gesehen, da sie beim Nötigungstatbestand die Zwangsverheiratung als besonders schweren Fall definiert hat. Das taucht spiegelbildlich im neuen Grundtatbestand des § 237 Abs. 1 auf. Insofern gibt es hier sicherlich keinerlei Differenz.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringt nur nichts!)
Hinzu kommt jetzt, dass wir auch andere Tatmodalitäten unter Strafe stellen, die zum Teil im Strafgesetzbuch verstreut, in anderen Vorschriften erfasst waren, zum Teil aber auch nicht. Das betrifft das Verbringen des Opfers ins Ausland zum Zweck der Begehung der Tat.
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiheitsberaubung!)
Soweit dies durch Gewalt geschieht, ist es als Verschleppungstatbestand erfasst. Darüber hinaus gibt es den Begriff der Drohung mit einem empfindlichen Übel – das war bisher Nötigung –, aber auch die Verbringung ins Ausland durch List. Es ist schon fraglich, ob das von den bestehenden Strafgesetzen wirklich erfasst wird. Die neue Regelung dient auch der Rechtsklarheit, weil dies alles jetzt in einer einzigen Vorschrift zusammengefasst und somit eindeutig als strafwürdiges Verhalten gekennzeichnet ist.
Sie hatten die Frage aufgeworfen, ob minderschwere Fälle überhaupt denkbar seien, die nach unserem Entwurf mit einem geringeren Strafrahmen bedacht sind, nämlich mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, während der Grundtatbestand wie im bisherigen § 240 Abs. 4 mit sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird. Es ist eine bekannte Regelungstechnik im Strafgesetzbuch, dass vom Gesetzgeber bei vielen Straftatbeständen auch die Möglichkeit eines minderschweren Falls vorgesehen ist. Wir sind uns einig, dass bei dem Straftatbestand der Zwangsheirat vermutlich eher selten ein minderschwerer Fall angenommen werden kann; dies haben wir auch in die Begründung des Gesetzentwurfs geschrieben. Gleichwohl wollten wir der gerichtlichen Praxis diese Möglichkeit eröffnen.
Sie wissen, dass auch der Versuch strafbar ist, jemanden ins Ausland zu verbringen. Die Tatmodalitäten stellen sich in einer Gesamtwürdigung möglicherweise etwas anders dar als der Grundtatbestand. In die Gesamtbewertung – Herr Kollege Montag als Strafverteidiger weiß das – fließt auch die Persönlichkeit des Täters, die bisherige Unbescholtenheit und Ähnliches ein. Daher kann es Fälle geben, in denen ein minderschwerer Fall in Betracht kommt. Wir wollen es gerne der strafrichterlichen Praxis überlassen, das zu definieren. Von der Gesetzgebung her meinen wir aber, dass das der seltene Ausnahmefall sein wird. So ist es auch in der Begründung dargestellt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. Das war auch für Nichtjuristen eine kleine Lehrstunde.

Komplettes Protokoll

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften.
Das Wort für den einführenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Thomas de Maizière.


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute den von mir eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften beschlossen. Mit diesem Gesetzentwurf werden mehrere aufenthaltsrechtliche und integrationspolitische Vorhaben umgesetzt, auf die sich die Koalitionspartner im Koalitionsvertrag verständigt haben. Den Schwerpunkt bilden verbesserte Regelungen zur Bekämpfung der Zwangsheirat einerseits und zum Schutz der Opfer von Zwangsheirat andererseits.
Zwangsheirat ist auch in Deutschland ein ernst zu nehmendes Problem, das in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist. Um Zwangsheirat stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten, soll mit dem Gesetz ein eigener Straftatbestand geschaffen werden. Dadurch bringt der Gesetzgeber klar zum Ausdruck, dass Zwangsheirat als schweres Unrecht zu verurteilen ist.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie bisher!)
Er tritt damit gleichzeitig der Fehlvorstellung entgegen, es handele sich um eine zumindest tolerable Tradition aus früheren Zeiten oder anderen Kulturen. Durch einen neuen Absatz wird auch die Verschleppung zum Zweck der Zwangsheirat unter Strafe gestellt. Insofern dient diese Neuregelung einer allgemeinen integrationspolitischen Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Wir müssen deutlich machen, dass Zwangsheiraten nicht mit unserer Werteordnung vereinbar sind. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Werteordnung stärker als bisher als verpflichtend wahrgenommen wird.
Der Entwurf sieht weiter die Schaffung eines eigenständigen Wiederkehrrechts vor. Wir wollen die Opfer von Zwangsheirat besserstellen. Dies dient der Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Stellung ausländischer Opfer von Zwangsverheiratungen, die sich als Minderjährige in Deutschland aufgehalten haben und nach der Zwangsheirat an der Rückkehr nach Deutschland gehindert werden. Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieses Wiederkehrrechts ist eine starke Vorintegration in Deutschland oder eine positive Integrationsprognose. Es gibt also zwei Möglichkeiten in diesem Zusammenhang. Des Weiteren wird die Antragsfrist zur Aufhebung einer Zwangsehe verlängert, damit die Opfer von Zwangsheirat mehr Zeit haben, sich von dem Druck zu lösen und einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Ein ernst zu nehmendes aufenthaltsrechtliches Problem ist die Eingehung einer Ehe ausschließlich zu dem Zweck, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, eine sogenannte Scheinehe. Die Mindestbestandszeit einer Ehe, die erforderlich ist, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu begründen, wird deshalb von zwei auf drei Jahre verlängert. Damit wird der Anreiz zur Schließung von Scheinehen verringert und die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung einer Scheinehe erhöht.
Schließlich werden die Regelungen für die räumliche Beschränkung von Asylbewerbern und Geduldeten gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung, einer Ausbildung oder eines Studiums bzw. den Schulbesuch in einem Gebiet zu erleichtern, das nicht von der jetzigen aufenthaltsbeschränkenden Maßnahme erfasst ist.
Das ist eine Regelung, die für Ballungsgebiete und auch länderübergreifend gedacht ist und etwa im Großraum Berlin, im Großraum Hamburg, im Großraum Bremen helfen wird.
Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus Regelungen, die die Kontrolle der Einhaltung von Integrationsverpflichtungen verbessern sollen. Deutsche Sprachkenntnisse und Alltagswissen sowie Kenntnisse der deutschen Rechtsordnung, Kultur und Geschichte sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration von Ausländern in Deutschland. Diese Kenntnisse werden in Integrationskursen vermittelt, deren Besuch unter den im Aufenthaltsgesetz genannten Voraussetzungen für etliche Zuwanderer verpflichtend ist.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Verpflichtung der Ausländerbehörden noch einmal ausdrücklich normiert, vor Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen, ob ein Ausländer seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme auch wirklich nachgekommen ist. Dies ist deshalb wichtig, weil die Verletzung dieser Pflicht aufenthaltsrechtliche Sanktionen bis hin zur Ablehnung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen im Wege eines pflichtgemäßen Ermessens nach sich ziehen kann.
Außerdem werden in dem Gesetzentwurf Datenübermittlungsregelungen im Zusammenhang mit der Durchführung von Integrationsmaßnahmen gesetzlich geregelt, die bislang nur in einer Rechtsverordnung, der Integrationskursverordnung, enthalten sind. Es gibt viele, die an diesem Thema mitarbeiten, insbesondere die Träger von Integrationskursen, die Ausländerbehörden, die Bundesagentur für Arbeit, Argen und Optionskommunen. In diesen Fällen muss der Austausch darüber, ob jemand an einem Integrationskurs teilgenommen hat – wenn nicht, aus welchen Gründen –, verbessert werden, sodass man die entsprechenden Konsequenzen ziehen kann.
Das sogenannte aufenthaltsrechtliche Paket verdeutlicht in besonders guter Weise die Mischung im Bereich von Migration und Integration, von Fördern und Fordern. Das Gesetzgebungsverfahren geht mit dem heutigen Tage los.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Ich habe jetzt eine ganze Palette von Wortmeldungen. Ich habe sie so aufgeschrieben, wie sie mir zur Kenntnis gekommen sind.
Wir fangen an mit der Kollegin Humme von der SPD-Fraktion.

Christel Humme (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr de Maizière, es ist richtig, dass wir gemeinsam das Ziel haben, Zwangsverheiratungen zu bekämpfen. Sie wollen das mit der Schaffung eines eigenen Straftatbestandes tun. Nach § 240 Strafgesetzbuch ist es zurzeit so, dass bei einer Zwangsverheiratung ein Fall von schwerer Nötigung vorliegt. Dafür vorgesehen ist ein Strafmaß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ist es eigentlich eine Hilfe für Zwangsverheiratete, wenn das Strafmaß erhöht wird? Ist es nicht eine größere Hilfe, wenn die Strafverfolgung verbessert wird? Was ist an dieser Stelle geplant? Welche Erkenntnisse haben Sie in der Vergangenheit darüber gewonnen, dass die Strafverfolgung so schwierig war?

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Frau Abgeordnete Humme, meines Erachtens ist es falsch, das als Alternativen zu sehen. Rechtspolitisch macht es einen Unterschied, ob ein Unterfall der Nötigung vorliegt oder ob man der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit mit einem eigenen, auch so benannten Paragrafen deutlich macht: Wir wollen in Deutschland freiwillige Verheiratung und keine Zwangsheirat. Das ist rechtspolitisch ein gewichtiger Unterschied, auch wenn das Strafmaß in diesem Fall nicht erhöht werden soll. Zugleich wird in einem weiteren Absatz festgestellt: Auch die Verschleppung von Personen für eine Zwangsheirat ist strafbar. Ich glaube, das dient der rechtspolitischen Klarheit und ist ein Fortschritt. Die Frage der Strafverfolgung ist davon zu trennen. Sie wissen, die Länder sind dafür zuständig.
Sie fragen, warum die Verfolgung so schwierig ist. Das liegt exakt an der Zwangslage der Frau und an den schwierigen Beweislagen zur Aufklärung einer Straftat, die innerhalb der Familie stattfindet. Wie Sie wissen, ist das vor etlichen Jahren beim Thema „Vergewaltigung in der Ehe“ diskutiert worden, also bei einer sehr ähnlichen Fragestellung. Man sollte den Opfern nicht vorwerfen, dass sie nicht gleich einen Strafantrag stellen; sie sind ja einem bestimmten Zwang ausgesetzt, und sie halten sich oft im Ausland auf. Deswegen lässt sich aus einer mangelnden Verfolgungsmöglichkeit nicht der Rückschluss ziehen, dass wir diesen Straftatbestand nicht ernst nehmen oder nicht angemessen bezeichnen sollten. Vielmehr brauchen wir beides: einen klaren Straftatbestand und eine ordnungsgemäße und zügige Strafverfolgung.
 
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Jetzt hat der Kollege Rüdiger Veit das Fragerecht.

Rüdiger Veit (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte meiner Frage ein anerkennendes Wort voranstellen, indem ich sage: Das Rückkehrrecht für Opfer von Zwangsheirat, aber beispielsweise auch Erleichterungen bei der Residenzpflicht für Geduldete sind durchaus Schritte in die richtige Richtung. Dazu haben wir auch als SPD-Fraktion bereits an einem eigenen Gesetzentwurf gearbeitet. Es freut uns, dass wir dabei jetzt offenbar auf einen Nenner kommen. Ich verrate auch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir in der Großen Koalition an diesem Problem auch schon gearbeitet haben. Damit leite ich zu meiner Frage über.
Bei aller Freude über dieses Aufeinander-Zugehen habe ich kritisch zu fragen: Was veranlasst Sie als Person oder auch die Koalition – vielleicht können Sie aufgrund der Verhandlungen, die vorausgegangen sein werden, sogar für die FDP mit antworten –, jetzt zu sagen: „Scheinehen könnten dadurch besser vermieden werden, dass die für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehegatten erforderliche Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre heraufgesetzt wird“? Warum gerade drei Jahre? Im Jahr 2000 haben wir die Frist von vier auf zwei Jahre heruntergesetzt, und dies aus gutem Grund. Ich glaube, wir haben das damals sogar mit der FDP gemacht. Was also veranlasst die Regierung, zu glauben, mit einer Verlängerung der Frist um ein Jahr würden Sie diesem Phänomen besser begegnen können?
Wenn ich das sagen darf: Ich persönlich habe dieses Ansinnen auch in Zeiten der Großen Koalition immer als eine sittlich nicht ganz gerechtfertigte Verbindung zweier unterschiedlicher Sachverhalte angesehen, die deswegen auch nicht zu einem faulen Kompromiss verbunden werden konnten.
Bei aller Freude also diese leichte Eintrübung und die daraus abgeleitete Frage: Warum jetzt wieder diese Koppelung?

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Ich freue mich, dass Sie zu einigen dieser Regelungen eine Zustimmung in Aussicht stellen. Es tut gut, wenn man in diesen Fragen in beiden Kammern Deutschlands eine große Mehrheit zustande bringt.
Was uns veranlasst hat, dies zusammen zu regeln, wissen Sie natürlich selbst. Sie kleiden Ihre These nur in eine Frage; das ist verständlich.

(Rüdiger Veit [SPD]: Die Frage ist ganz einfach!)

Aber ich will gern Folgendes sagen: Für uns ist der Schutz der Ehe wichtig, nicht nur weil das im Grundgesetz steht, sondern aus innerer Überzeugung. Wir haben auch Verständnis dafür, dass man, wenn Ehen zwischen jemandem, der in Deutschland lebt, und jemandem, der im Ausland lebt, zustande gekommen sind, einen Ehegattennachzug organisiert. Denn Ehepartner sollen zusammenleben können und dürfen. Das Problem ist nur, dass diese sinnvollen und vernünftigen Maßnahmen zum Schutz der Ehe missbraucht worden sind und ständig missbraucht werden, um in Wahrheit einen ungesteuerten Zuzug nach Deutschland zu organisieren, und dies unter Missachtung der Rechte der Frauen. Das wollen wir verhindern. Das ist immer ein Optimierungsproblem. Deswegen die Regelung bezüglich der Zwangsheirat. Das ist ein Baustein, der unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Rückkehrrecht für die Opfer vorsieht.
In diesem Zusammenhang will ich auch das Eingehen einer Scheinehe nennen, einer Ehe, die den Zweck hat, dass anschließend ein Ehepartner – in der Regel ist dies eine Frau – ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommt. Ist die Frist sehr kurz, so ermuntern Sie manche dazu, die vernünftigen Regelungen, die es gibt, damit Ehepartner zusammenleben können, zu missbrauchen, wodurch es zu einer Zuwanderung nach Deutschland kommt, die so nicht beabsichtigt war.
Insoweit ist die Frist von drei Jahren besser als eine Frist von zwei Jahren. Wir gehen davon aus, dass gute Ehen in der Regel zwei bis drei Jahre und möglichst länger halten sollten. Je kürzer eine Ehe ist, desto stärker ist dies ein Indiz dafür, dass die Ehe vielleicht aus ganz bestimmten Gründen eingegangen worden ist.
Insoweit finde ich drei Jahre besser als zwei, und drei Jahre sind ein Kompromiss zwischen zwei und vier Jahren.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. – Jetzt hat das Fragerecht die Kollegin Sevim Daðdelen.

Sevim Daðdelen (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich muss im Anschluss an die Frage des Kollegen Veit nachfragen. Sie haben von Missbrauchsfällen berichtet. Es wäre interessant, zu wissen, auf welcher empirischen Grundlage diese Bundesregierung diese Aussagen macht, dass hier Missbrauch betrieben wird und deshalb die Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre verlängert werden soll. Den Deutschen Bundestag haben in den letzten Jahren sehr viele Praktikerinnen und Praktiker sowie Expertinnen und Experten über die Zwangssituation der Frauen unterrichtet.
Wir haben in der letzten Wahlperiode, als Sie nicht Innenminister waren, mit Ihrem Vorgänger, Herrn Schäuble, im Bundestagsinnenausschuss Anhörungen zum Thema Zwangsverheiratung durchgeführt; auch im Familienausschuss fanden dazu Anhörungen statt. Dabei wurde immer wieder von Expertinnen und Experten Folgendes gefordert: Wenn man den Opferschutz tatsächlich möchte – von diesem haben Sie gerade gesprochen –, dann sollte man die Ehebestandszeit nicht verlängern, sondern eher reduzieren.
Ich komme zu meiner eigentlichen Frage zum Thema Opferschutz: Inwieweit wird die Bundesregierung die vom Forum Menschenrechte geforderten Verbesserungen im Opferschutz umsetzen, beispielsweise Regelungen im Melderecht schaffen, die verhindern, dass ein bundesweiter Zugriff auf die Daten von bedrohten oder von Zwangsverheiratung betroffenen Personen möglich wird, sodass nicht der Mann über das Scheidungsverfahren oder das gerichtliche Umgangs- und Sorgerechtsverfahren am Amtsgericht den Wohnort der jungen Frau herausfinden kann und damit alle Anonymisierungsbemühungen zunichte gemacht werden? – Ich hoffe, Sie haben die Frage verstanden. Wenn nicht, kann ich sie wiederholen.

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Ich möchte, ehrlich gesagt, jetzt nicht im einzelnen zu Forderungskatalogen von noch so ehrwürdigen Organisationen Stellung nehmen; das kann gerne im Gesetzgebungsverfahren geschehen.
Das Melderecht enthält bestimmte Auskunftsrechte, welche jedermann zur Verfügung stehen. Nun in Bezug auf Ihre Fallkonstellation eine spezifische Auskunftseinschränkung vorzunehmen, scheint meiner Meinung nach problematisch zu sein; darüber können wir allerdings gerne im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens reden.
Die Frage der Beweisführung und des Opferschutzes ist in allen Fällen schwierig. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf versucht, diesbezüglich einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Dass wir damit nicht alle Fälle erfassen, ist sicherlich wahr. Denn wir haben es in dieser Fallkonstellation – ich sage es einmal etwas hart – mit verdecktem Elend zu tun, und die Aufdeckung wird manche Frau in eine doppelte Opferrolle bringen, weil sie womöglich aussagen muss; das kennen wir bereits aus vielen anderen Bereichen des Strafrechts.
Trotzdem finden wir, dass wir in dieser Gesellschaft klar sagen müssen, dass wir diese Art von archaischen Strukturen, diesen Missbrauch der Ehe in unserem Land und zum Zwecke des Erschleichens des Zugangs in unser Land nicht dulden wollen. Das ist die Aussage dieses Entwurfs.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Danke schön. – Der nächste Fragesteller ist der Kollege Memet Kilic.

Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, ich habe im Juli einen Antrag zur Verbesserung der Rechte von zwangsverheirateten Personen gestellt. Ich kann mit Freude feststellen, dass die Koalition über ihren Schatten gesprungen ist und sich auf einem Gebiet – ich meine die Rückkehrrechte von Zwangsverheirateten – Bewegung abzeichnet. Ich hoffe, dass es bis zum Ende so bleibt und dass Herr Grindel auch weiterhin zustimmt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das steht im Koalitionsvertrag!)

Das wird auch so bleiben, denke ich.
Würden Sie mir zustimmen, dass Verschleppung bereits nach heute geltendem Recht strafbar ist? Das ist schließlich Freiheitsberaubung. Wenn Sie diese Verbesserung damit begründen, ist es womöglich nicht richtig.
Würden Sie mir auch zustimmen, dass Zwangsverheiratung in Deutschland bereits seit Jahren aufgrund von § 240 des Strafgesetzbuches verboten ist? Und würden Sie mir auch zustimmen, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung diese zu einem besonders schweren Fall der Nötigung erklärt und ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren vorgesehen hat?
Sie sehen allerdings in der Tat ein Novum vor. Denn Sie sagen: In minderschweren Fällen wird das Strafmaß sechs Monate bis drei Jahre betragen. Ich würde sagen: Genauso wenig wie es „ein bisschen Schwangerschaft“ gibt, so wenig gibt es auch „ein bisschen Zwangsverheiratung“. Wie also soll man sich minderschwere Fälle bei Zwangsverheiratung vorstellen, wofür das niedrigere Strafmaß vorgesehen ist?
Ein weiterer Bereich ist: Sie wollen die Zahlen bezüglich der Verweigerung der Teilnahme an Integrationskursen ermitteln. Aber Sie haben schon im Vorhinein erklärt, dass 10 bis 15 Prozent der Immigranten Integrationsverweigerer sind. Danach haben Sie versucht, zurückzurudern; aber das ist nicht gelungen. Ihre Antwort auf eine schriftliche Frage von mir belegt Ihre Aussage nicht.
Nach unseren Erkenntnissen besuchen die Immigranten die Integrationskurse. 140 000 nehmen zurzeit daran teil, 9 000 warten darauf. Bis Ende dieses Jahres werden es 20 000 Immigranten sein.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kilic.

Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme sofort zum Schluss. – Die Leute, die die Teilnahme an den Kursen abbrechen, haben unterschiedliche Gründe: Es können gesundheitliche Gründe sein, oder sie finden einen Job; in dem Fall müssen sie den Integrationskurs sogar abbrechen und dem Job den Vorrang geben. Würden Sie also die Zahl korrigieren und sagen, dass nicht 10 bis 15 Prozent der Immigranten integrationsunwillig sind?

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Ich beginne einmal mit Ihrer ersten Frage. Wenn Ergänzungen nötig sind, bitte ich Herrn Stadler, diese vorzunehmen; denn das Justizministerium ist ja für das Strafrecht zuständig.
Man könnte sehr viele Paragrafen des Strafrechts streichen und alles unter Beleidigung und Nötigung fassen. Wir haben vor einiger Zeit das Stalking, die unangemessene Belästigung, als Straftatbestand eingeführt. Auch das ist eine Art Nötigung. Ich finde – ich wiederhole das noch einmal; ich habe es der Kollegin Humme schon gesagt –, es macht einen Unterschied, ob ich von einem noch so gewichtigen Unterfall der Nötigung spreche oder ob ich im In- und Ausland sage: Wir wollen keine Zwangsheirat. – Das ist ein großer rechtspolitischer Unterschied. Es dient der Systematisierung und der Transparenz, auch im Hinblick auf das gesellschaftliche Unwerturteil. Deswegen haben wir das heute so beschlossen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich habe nicht gesagt, dass nach meiner Schätzung 10 bis 15 Prozent aller Migranten integrationsunwillig sind. Vielmehr habe ich gesagt, dass 10 bis 15 Prozent der hier lebenden Muslime integrationsunwillig sind.

(Caren Marks [SPD]: Das verschlimmbessert es!)

Das ist eine Schätzung, die ich vorgenommen habe. Ich habe das auch ausdrücklich so vorgetragen. Das ist eine Schätzung, die sich aus der großen Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ herleitet, die im Zusammenhang mit der Deutschen Islam-Konferenz in der letzten Legislaturperiode entstanden ist. Ein paar Indizien aus dieser Studie – zum Beispiel Nichtteilnahme am Sportunterricht, auch Selbstaussagen von Betroffenen – bringen mich zu der Aussage, die ich in Bezug auf Muslime – nicht auf die Gesamtheit der Migranten – getroffen habe. Das ist von interessierter Seite anders berichtet worden. Aber das war immer meine Aussage, und dabei bleibt es auch.
Was die Frage des Abbruchs der Teilnahme an Integrationskursen angeht, so ist es wahr: Viele Gründe können ausschlaggebend dafür sein. Ungefähr 30 Prozent der Teilnehmer brechen einen Integrationskurs ab oder bringen ihn nicht erfolgreich zum Abschluss. Das kann viele Ursachen haben: Man findet Arbeit, der Ehepartner verbietet vielleicht die Teilnahme, es liegt eine Krankheit vor, ein Kind wird krank und vieles andere. Es kann aber auch Integrationsunwilligkeit sein. Bisher haben wir diesbezüglich keine klaren Erkenntnisse. Weder die Ausländerbehörden noch die Argen und Optionskommunen haben das bislang verfolgt und sich ausführlich damit befasst.
Wir wollen, dass sich das ändert. Erstens muss ein Datenaustausch zwischen dem Träger eines Kurses und den zuständigen Behörden möglich werden. Zweitens wollen wir, dass die Ausländerbehörden gezwungen werden, darauf zu achten, woran es gelegen hat, wenn ein dazu Verpflichteter nicht an einem Integrationskurs teilgenommen hat. Dann muss im Wege des pflichtgemäßen Ermessens entschieden werden, ob deswegen die Aufenthaltsgenehmigung nicht erteilt oder nicht verlängert wird.

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon geltende Rechtslage!)

Es gibt da keinen Automatismus, sondern im Wege des pflichtgemäßen Ermessens muss berücksichtigt werden, dass es unterschiedliche Gründe dafür geben kann, der Verpflichtung der Teilnahme an einem Integrationskurs nicht nachgekommen zu sein.
Dass wir hier offensichtlich ein Vollzugsdefizit haben, scheint mir unstreitig zu sein. Ich werde mit meinen Kollegen Innenministern noch darüber zu reden haben, woran das liegt. Aber das Argument, wir könnten bestimmte Sachen nicht machen, um das Vollzugsdefizit zu beheben, etwa weil wir die Daten nicht austauschen dürften, möchte ich durch diesen Gesetzentwurf entkräften.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Josef Winkler.
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Justizministerium wollte noch antworten!)
– Entschuldigung! Es bedarf noch einer weiteren Antwort. Herr Kollege Dr. Stadler, bitte.

Dr. Max Stadler,
Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Kilic, zu Ihren strafrechtlichen Fragen darf ich noch auf Folgendes aufmerksam machen: Zunächst einmal sind wir alle uns sicherlich einig, dass es ein elementares Menschenrecht ist, selber frei zu entscheiden, ob man eine Ehe eingeht und, wenn ja, mit wem.

(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Dass dieses elementare Menschenrecht durch die Rechtsordnung, auch durch das Strafrecht, geschützt werden muss, ist unstreitig. Hinzu kommt jetzt, dass es beim Rückkehrrecht Verbesserungen für die Opfer gibt; das hat Herr Minister de Maizière ausgeführt.
Die Koalition aus SPD und Grünen hat das, was die strafrechtliche Seite angeht, übrigens genauso gesehen, da sie beim Nötigungstatbestand die Zwangsverheiratung als besonders schweren Fall definiert hat. Das taucht spiegelbildlich im neuen Grundtatbestand des § 237 Abs. 1 auf. Insofern gibt es hier sicherlich keinerlei Differenz.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringt nur nichts!)
Hinzu kommt jetzt, dass wir auch andere Tatmodalitäten unter Strafe stellen, die zum Teil im Strafgesetzbuch verstreut, in anderen Vorschriften erfasst waren, zum Teil aber auch nicht. Das betrifft das Verbringen des Opfers ins Ausland zum Zweck der Begehung der Tat.

(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiheitsberaubung!)

Soweit dies durch Gewalt geschieht, ist es als Verschleppungstatbestand erfasst. Darüber hinaus gibt es den Begriff der Drohung mit einem empfindlichen Übel – das war bisher Nötigung –, aber auch die Verbringung ins Ausland durch List. Es ist schon fraglich, ob das von den bestehenden Strafgesetzen wirklich erfasst wird. Die neue Regelung dient auch der Rechtsklarheit, weil dies alles jetzt in einer einzigen Vorschrift zusammengefasst und somit eindeutig als strafwürdiges Verhalten gekennzeichnet ist.
Sie hatten die Frage aufgeworfen, ob minderschwere Fälle überhaupt denkbar seien, die nach unserem Entwurf mit einem geringeren Strafrahmen bedacht sind, nämlich mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, während der Grundtatbestand wie im bisherigen § 240 Abs. 4 mit sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird. Es ist eine bekannte Regelungstechnik im Strafgesetzbuch, dass vom Gesetzgeber bei vielen Straftatbeständen auch die Möglichkeit eines minderschweren Falls vorgesehen ist. Wir sind uns einig, dass bei dem Straftatbestand der Zwangsheirat vermutlich eher selten ein minderschwerer Fall angenommen werden kann; dies haben wir auch in die Begründung des Gesetzentwurfs geschrieben. Gleichwohl wollten wir der gerichtlichen Praxis diese Möglichkeit eröffnen.
Sie wissen, dass auch der Versuch strafbar ist, jemanden ins Ausland zu verbringen. Die Tatmodalitäten stellen sich in einer Gesamtwürdigung möglicherweise etwas anders dar als der Grundtatbestand. In die Gesamtbewertung – Herr Kollege Montag als Strafverteidiger weiß das – fließt auch die Persönlichkeit des Täters, die bisherige Unbescholtenheit und Ähnliches ein. Daher kann es Fälle geben, in denen ein minderschwerer Fall in Betracht kommt. Wir wollen es gerne der strafrichterlichen Praxis überlassen, das zu definieren. Von der Gesetzgebung her meinen wir aber, dass das der seltene Ausnahmefall sein wird. So ist es auch in der Begründung dargestellt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. Das war auch für Nichtjuristen eine kleine Lehrstunde.
Das Fragerecht hat jetzt der Kollege Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesinnenminister, im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die Verlängerung der Ehebestandszeit zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltstitels von zwei auf drei Jahre geprüft werden soll. Uns würde interessieren, was bei dieser Prüfung herausgekommen ist; denn Sie haben sich für einen Zeitraum von drei Jahren entschieden. Der Begründung des Gesetzentwurfs entnehme ich dazu nur die Formulierung, dass Wahrnehmungen aus der ausländerbehördlichen Praxis darauf hindeuten, dass die Verkürzung der Mindestehebestandszeit auf zwei Jahre zu einer Erhöhung der Scheineheverdachtsfälle geführt hat. Nun besteht aber ein Unterschied zwischen Verdachtsfällen, bei denen Wahrnehmungen darauf hindeuten, dass ihre Zahl zugenommen hat, und tatsächlichen Fällen. Das Ergebnis Ihrer Prüfung halte ich daher auch in Anbetracht der Tatsache, dass Sie den Sachverhalt ernsthaft prüfen wollten, für nicht besonders stichhaltig.
Ich möchte Sie noch zu einem anderen Punkt fragen, und zwar zur Regelung für die Wiedereinreise. Plant die Bundesregierung, für Personen, die von Zwangsverheiratung nur bedroht sind und versuchen, dieser zu entkommen, die Einreise nach Ablauf der Sechsmonatsfrist ebenfalls zu erleichtern, oder halten Sie diese Personengruppe für nicht schutzbedürftig? Nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfes gilt das Recht auf Wiedereinreise nur für bereits zwangsverheiratete Personen.

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Meine Antwort auf die erste Frage: Das Ergebnis der Prüfung ist der heute vorliegende Gesetzentwurf.
Meine Antwort auf die zweite Frage: Die von Ihnen angesprochene Konstellation wird außerordentlich selten sein. Das Rückkehrrecht bezieht sich auf Personen, insbesondere Frauen und Minderjährige, die hier waren und beispielsweise zur Ferienzeit mit List, mit Gewalt oder auf andere Weise ins Ausland – ich sage es einmal neutral – verbracht werden, verheiratet werden und dann zurückkehren können sollen. Wer hier ist und von Zwangsverheiratung nur bedroht ist, für den ist die entsprechende Regelung nicht einschlägig. Dieser Fall wird daher so gut wie nie eintreten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage stellt der Kollege Jerzy Montag.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich weiß, dass Sie ein glänzender Jurist sind. Außerdem sind Sie für diesen Gesetzentwurf verantwortlich. Deswegen erlaube ich mir, diese Frage, obwohl sie sich auf das Strafrecht bezieht, erst einmal an Sie zu stellen. Wenn Sie mögen, können Sie die Beantwortung gern Herrn Staatssekretär Stadler überlassen.
Es geht um die Strafvorschriften, die Sie vorschlagen. Insbesondere für das Strafrecht gilt: Wenn es nicht unabweisbar nötig ist, ein Gesetz zu machen, ist es unabweisbar nötig, kein Gesetz zu machen. Nun stellen Sie eine Vorschrift vor, die bis auf Punkt und Komma – sowohl was das Strafmaß als auch was die Textformulierung anbelangt – dem seit fünf Jahren geltenden Recht entspricht. Sie führen sozusagen nur eine Umetikettierung durch. Dafür muss es einen vernünftigen Grund geben. Ich frage Sie, ob Ihnen vielleicht Tatsachen bekannt sind, die es unabdingbar machen, der Strafvorschrift eine neue Überschrift zu geben, nämlich dass beispielsweise die Polizeibehörden das bisherige Recht nicht richtig kennen oder dass die Staatsanwaltschaften den besonderen Tatbestand der Nötigung nicht im Auge gehabt haben, sodass die Straftaten – es handelt sich ja nicht um ein Antragsdelikt – nicht verfolgt worden sind. Was ist also außer der Umetikettierung der Grund dafür, dass Sie die Strafvorschrift ändern?
Der zweite Teil meiner Frage geht in die gleiche Richtung. Ich bin ein Freund der minderschweren Fälle; vorhin wurde ich darauf persönlich angesprochen. In allen Fällen, in denen eine Mindeststrafe von sechs Monaten vorgesehen ist, sollte es den Richtern möglich sein, auch minderschwere Fälle zu judizieren. Fakt ist aber, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf entgegen den Verlautbarungen in der Presse die Strafvorschriften zur Zwangsverheiratung nicht verschärfen – Sie lassen sie nicht einmal gleich –, sondern entschärfen, indem Sie diese minderschweren Fälle einführen. Das sollten Sie der Ehrlichkeit halber der Öffentlichkeit sagen.

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Herr Abgeordneter, da wir alle – Sie, Herr Stadler und ich – ordentliche Juristen sind, können wir das im Rahmen der Zuständigkeit beantworten. Ich würde deshalb den ehemaligen Staatsanwalt Stadler bitten, zu antworten.
Ich will nur eines vorweg sagen. Sie haben von einer Umetikettierung gesprochen. Das klingt so herabwürdigend. Ich finde, das ist auch rechtspolitisch ein wichtiger Punkt: Wie bezeichnen wir das, was wir allgemein für strafwürdig halten? Ich finde, es ist rechtspolitisch ein gewichtiger Unterschied, ob wir Zwangsheiraten als einen Unterfall von Nötigung bezeichnen oder aber durch Schaffung einer eigenen Regelung zum Ausdruck bringen: Wir wollen keine Zwangsheiraten.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Unterfall von Nötigung ist Nötigung!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Kollege Stadler.

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Montag, wir alle wissen, dass mit dem Straftatbestand der Nötigung die Willensentschließungsfreiheit strafrechtlich geschützt wird. Nun kann man seinen Willen zu verschiedenen Handlungen oder Unterlassungen äußern. Ich habe es schon vorhin ausgeführt: Ich finde, dass die Entscheidung, ob man eine eheliche Bindung eingeht und mit wem, ein so elementares Menschenrecht ist, dass es durchaus gerechtfertigt ist, diese Entscheidung mit einer eigenen Norm unter strafrechtlichen Schutz zu stellen, auch wenn Zwangsheiraten schon durch den Strafbestand der Nötigung, der viele andere Sachverhalte mit erfasst, unter Strafe gestellt waren.
Es geht hier um den Schutz von Mädchen und jungen Frauen im Hinblick auf ihre freie Willensentscheidung, ob sie eine Ehe eingehen und mit wem.

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum ging es uns auch damals! Darum steht es ja unter Strafe!)

Das ist ein spezieller Fall. Die Freiheit der Eheschließung ist nicht nur durch Art. 6 des Grundgesetzes geschützt, sondern auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Menschenrechtscharta. Deswegen halte ich es für eine durchaus gerechtfertigte Entscheidung, den Schutz dieser Freiheit im Strafgesetzbuch gesondert zum Ausdruck zu bringen.
Sie haben recht, dass der Strafrahmen der bisher gültigen Vorschrift zur Nötigung nach § 240 Abs. 4 Strafgesetzbuch entnommen ist. Ich stimme Ihnen ebenfalls zu, dass es zweckmäßig ist, den Richtern für die vielen Einzelfälle – man kann bei Verabschiedung eines Gesetzes gar nicht vorhersehen, was sich in der Praxis zuträgt – die Möglichkeit zu geben, das Strafmaß sachgerecht, auf den jeweiligen Einzelfall bezogen festzulegen. Deshalb sehen wir, dem Vorbild vieler anderer Straftatbestände folgend, einen minderschweren Fall mit einem anderen Strafrahmen vor. Ich bin sicher, dass die Judikatur davon in sachgerechter Weise Gebrauch machen wird.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also senken Sie die Strafen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. – Eigentlich ist die Zeit für die Befragung der Bundesregierung abgelaufen. Wenn Sie einverstanden sind, verlängere ich die Zeit dafür, und zwar auf Kosten der Fragestunde, bei der die Zeit dann möglicherweise nicht ganz ausgeschöpft werden kann. – Darüber scheint Einvernehmen zu bestehen.
Die nächste Frage hat die Kollegin Heidrun Dittrich.

Heidrun Dittrich
(DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe eine Detailfrage zum Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen. Nach dem Personenstandsgesetz muss eine Namensänderung in das Familienbuch eingetragen werden, in das enge Angehörige Einsicht nehmen dürfen. Dadurch sind Betroffene extrem gefährdet. Im Notfall kann den Behörden jedoch die Bedrohungssituation einer Betroffenen dargelegt und so eine Eintragung des neuen Namens verhindert werden. Diese Prozedur ist jedoch schwierig. Es werden hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Zwangsverheiratung oder einer entsprechenden Bedrohung gestellt. Beabsichtigen Sie, diese hohen Anforderungen zu senken, um den Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen besser zu gewährleisten?

Dr. Thomas de Maizière,
Bundesminister des Innern:
Frau Abgeordnete, ich muss freimütig gestehen, dass ich die Frage nicht aus dem Stand beantworten kann. Ich würde Ihnen die Antwort gern schriftlich nachreichen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die nächste Frage hat die Kollegin Monika Lazar.

Monika Lazar
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich habe eine Nachfrage zur Erhöhung der zur Erlangung eines Aufenthaltstitels notwendigen Ehebestandszeit. Mein Kollege Winkler hat schon versucht, Ihnen etwas mehr zu entlocken als die Antwort: Das Ergebnis sehen Sie heute. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass Wahrnehmungen darauf hindeuten. Uns würde interessieren, welche Wahrnehmungen Sie haben. Können Sie uns diese Wahrnehmungen mitteilen? Unter anderem Terre des Femmes sieht die Erhöhung der Ehebestandszeit sehr kritisch. Diese Organisation, die sich seit vielen Jahren für Frauenrechte einsetzt, spricht sich dagegen aus.
 Ich habe eine weitere Frage zu diesem Themenkomplex. Es gibt eine Härtefallregelung. Wissen Sie, wie viele Frauen und Männer von der Härtefallregelung Gebrauch machen und die Möglichkeit zur Verkürzung der Ehebestandszeit in Anspruch nehmen? Können Sie uns diese Zahlen zur Verfügung stellen?

Dr. Thomas de Maizière
, Bundesminister des Innern:
Frau Abgeordnete, wir haben weder zu der Frage „Wie viele Zwangsverheiratungen gibt es in Deutschland?“ noch zu der Frage „ Wie viele Scheinehen gibt es in Deutschland?“ eine Statistik. Das liegt in der Natur der Sache. Diese Ehen werden schließlich in scheinbarem Einvernehmen der Beteiligten geschlossen, um die wahre Absicht des Vorgangs zu verschleiern. Es wäre erstaunlich, wenn man hierzu Statistiken hätte.
Beides wollen wir aber nicht. Wir wollen weder Zwangsheiraten noch Scheinehen. Herr Stadler hat überzeugend vorgetragen, warum wir keine Zwangsheiraten wollen. Wir wollen auch keine Scheinehen, und zwar nicht nur, weil man sich dadurch das Recht zum Zuzug nach Deutschland erschleicht, sondern auch, weil es unserem Verständnis von der Würde und dem Ansehen der Ehe nicht entspricht, sie nur zum Schein einzugehen. Sie wissen aber selbst – schließlich haben Sie eine entsprechende Nichtregierungsorganisation erwähnt –, dass wir auf diesem Gebiet ein beträchtliches Problem in unserer Gesellschaft haben.
Wir schaffen jetzt die Möglichkeit, diese Fälle aufzudecken. Natürlich brauchen wir dafür die Mitarbeit Betroffener. Einige Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes können wir aufzeigen, wie es wirkt. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass es kaum Statistiken über Zwangsheiraten und Scheinehen gibt.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ehebestandszeit! Können Sie dazu noch etwas sagen?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister, ich gebe zu, dass es eine frauenpolitische Errungenschaft ist, wenn es in Zukunft ein Rückkehrrecht gibt. Das ist eine Forderung, die ich als Familienpolitikerin schon seit Jahren stelle. Leider konnte ich sie bisher, auch zur Zeit einer anderen Regierungskoalition, nicht durchsetzen. Ich gebe zu, dass das ein wichtiger Schritt ist.
Jetzt kommt mein großes Aber bei der Sache. Wir reden hier über juristische Finessen, die ihre Berechtigung haben und die ich auch nicht schmälern will. Wenn ich mir aber die Praxis in Deutschland anschaue, stelle ich fest, dass die größten Defizite nicht im Bereich des Strafrechts liegen, sondern die Situation vor Ort betreffen. Was werden Sie tun, um Ihre Absicht, diese Form von unmenschlicher Heirat zu verhindern, Wirklichkeit werden zu lassen? Welche Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen wollen Sie ergreifen? Wird es dazu eine Kampagne geben? Werden Sie darauf insistieren, dass es Beratungsstellen gibt? Werden Sie Unterstützungsmaßnahmen anbieten, zum Beispiel in Frauenhäusern, damit die Frauen, die sich befreien und zurückkehren, auch die Möglichkeit haben, sich an jemanden zu wenden? Wenn es zwar eine Rückkehroption, aber keine Aufnahmeoption gibt, werden die Frauen den entscheidenden Schritt vermutlich nicht wagen, sondern sich sozusagen ergeben und in die Familienstruktur, die sie unter Druck setzt, zurückkehren müssen. Mit welchen Begleitmaßnahmen wollen Sie Ihre Intention, die richtig ist, durchsetzen? Aus dem Blickwinkel der Frauen- und Familienpolitik war bisher nicht der Straftatbestand das entscheidende Problem, sondern die Tatsache, dass Deutschland nicht in der Lage war, Unterstützungsstrukturen für diese Opfer aufzubauen.

Dr. Thomas de Maizière,
Bundesminister des Innern:
Heute reden wir über ein Paket, das sich auf das Aufenthaltsrecht bezieht. Es besteht aus einem strafrechtlichen Element und aus einer Gesetzgebung, die mit dem Aufenthaltsgesetz zu tun hat. Das ist Gegenstand dieses Gesetzentwurfs. Damit können wir die ganze soziale Wirklichkeit und die Dramen, die sich abspielen, natürlich nicht abbilden. Für manches sind auch die Länder zuständig. Es nützt aber überhaupt nichts, ein Programm für eine Wiederaufnahme vor Ort zu machen, wenn es kein Rückkehrrecht gibt. Das heißt: Ohne ein solches Rückkehrrecht und ohne dass man den Straftäter – ob es nun der Vater, der Bruder, der Onkel oder sonst jemand ist – an den Kanthaken bekommt, wird es nicht gehen.
Das andere sind Maßnahmen, die folgen können. Es gibt auch entsprechende Strukturen. Wir haben Opfervereinigungen, Beratungsstellen und Frauenhäuser, die sich kümmern. Aber wenn wir den rechtlichen Rahmen nicht hinbekommen – sowohl mit Blick auf die klarere Regelung der Strafe als auch mit Blick auf das Rückkehrrecht –, nützen Hilfsmaßnahmen nichts. Das eine schließt das andere nicht aus.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage stellt die Kollegin Aydan Özoðuz.

Aydan Özoðuz (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesinnenminister, zweifellos sind Forschung und Wissenschaft ganz wichtige Grundlagen unserer Arbeit. Ich möchte aber doch zum Ausdruck bringen, dass ich es wirklich für schwierig halte, wenn die Befragung von Jugendlichen zu ihrem kriminellen Verhalten verbunden mit der Frage, wie religiös sie sich fühlen, zu der Aussage des Bundesinnenministers führt, dass 10 bis 15 Prozent der Muslime bei uns integrationsunwillig seien. Ich denke, darüber sollten wir noch einmal sprechen.
Meine Frage geht aber eher in den Bereich des Opferschutzes. Sie haben vorhin gesagt, dass eine starke Vorintegration die Voraussetzung für das eigenständige Wiederkehrrecht sei. Ich würde dies gerne noch ein wenig präzisiert bekommen. Was ist eine starke Vorintegration? Spielt das Einkommen eine Rolle? Spielt der Bildungsstand eine Rolle? Was genau ist damit gemeint?

(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz! Lesen Sie es nach!)

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
Zum ersten Punkt. Ich habe mich bei meiner Antwort ausdrücklich nicht auf die Studie des Direktors des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur überproportional hohen Gewaltneigung junger Muslime bezogen. Sie haben sich jetzt darauf bezogen. Diese Studie ist bemerkenswert. Ob sie so aussagefähig ist, halte auch ich für fragwürdig.
Ich habe meine Aussage auf die große Studie über islamisches Leben in Deutschland von Faruk Sen und anderen bezogen, die in den Jahren 2008 und 2009 durchgeführt worden ist. Durch die Fülle von Aussagen, wie man zum Staat steht, ob man den Staat ablehnt oder nicht, und zu ähnlichen Fragen komme ich zu diesem Ergebnis, dass es sich um 10 bis 15 Prozent der Muslime handelt. Das ist meine Quelle – und nicht Herr Pfeiffer. Es ist wichtig, darauf noch einmal hinzuweisen.
Nun zu Ihrer Frage. Es gab schon einen Zwischenruf aus unserer Mitte: Das steht in der Tat im Gesetz. Man muss zwischen minderjährig und nicht minderjährig unterscheiden. Mit erfolgreicher Vorintegration ist insbesondere gemeint, wenn man sich hier schon lange aufgehalten hat und auch erfolgreich die Schule besucht hat. Dann wird das Rückkehrrecht in besonderer Weise erleichtert. Im Übrigen verweise ich auf den Wortlaut des Gesetzes.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Vielen Dank. – Ich muss die Befragung der Bundesregierung zu diesem Themenkomplex leider beenden. Wir haben den vorgesehenen Zeitrahmen schon um elf Minuten überschritten. Es gibt allerdings noch zwei weitere Fragen.
Nun ist schon kritisiert worden, dass diejenigen, die zur Fragestunde gekommen sind, Gefahr liefen, ihre Fragen nicht beantwortet zu bekommen. Ich darf Sie deshalb fragen: Trifft es auf Ihre Zustimmung, dass wir die Befragung der Bundesregierung jetzt beenden? – Dann rufe ich noch die beiden Fragen, die nicht zu diesem Themenbereich gehören, auf. Bei den Fragestellern handelt es sich um die Kollegin Sevim Daðdelen und den Kollegen Stefan Liebich.
Frau Daðdelen, bitte.

Sevim Daðdelen
(DIE LINKE):
Herr Minister, eigentlich ist dieser Komplex schon angesprochen worden. Es geht um die heute im Kabinett ebenfalls beschlossenen Sanktionen bei vermeintlichen Integrationsverweigerern in Deutschland.
Wie bereits angesprochen wurde, haben laut einer Meldung des Tickerdienstes epd acht Träger von Integrationskursen für Migranten angesichts der Tatsache, dass das Kabinett heute über mehr Sanktionen entschieden hat, auf die geringe Abbrecherquote hingewiesen. Ich zitiere:
„Es gibt so gut wie keine Abbrecher aus mangelndem Integrationsinteresse“, erklärten acht Bildungsträger gemeinsam am Mittwoch in Bonn. … Dringenden Handlungsbedarf sehen die Bildungsträger an anderer Stelle.
Sie sehen also keinen Handlungsbedarf im Bereich von Sanktionen, die es sowieso schon gibt. Hier heißt es weiter:
Rund 10 000 Menschen, die an Integrationskursen teilnehmen wollten, stünden auf Wartelisten, weil für ihre Kurse nicht genug Geld zur Verfügung stehe … Bis zum Jahresende könne sich die Zahl sogar auf 20 000 verdoppeln.
Herr Minister, Sie sprechen – nachzulesen zum Beispiel in einem gestern im Tagesspiegel veröffentlichten Interview – immer noch von Integrationsverweigerern und sind nicht in der Lage, auf parlamentarische Fragen von Abgeordneten und Fraktionen, welche Erkenntnisse Ihnen über Integrationsverweigerer vorliegen, Antworten zu geben. Deshalb lautet meine Frage an Sie: Sind Sie nicht der Auffassung, dass es pauschal und sehr diskriminierend ist, von etwas zu sprechen, dem jedwede Grundlage in der Realität fehlt, und gleichzeitig Sanktionen vorzusehen? Dies stellt letztendlich nur eine hektische Aktivität der Bundesregierung dar, hat aber mit der Lebenswirklichkeit in Deutschland nichts zu tun.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Minister.

Dr. Thomas de Maizière,
Bundesminister des Innern:
Frau Abgeordnete, das war eher ein Debattenbeitrag als eine Frage. Ich fand und finde meine Äußerungen nicht pauschal. Das ist meine Antwort.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Im Übrigen war das eine Frage zu dem gleichen Themenkomplex. Sie haben Ihr Fragerecht missbraucht.

(Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Das habe ich nicht, Herr Präsident! Zwangsheirat war das Thema!)

Ich bitte jetzt den Kollegen Stefan Liebich, seine Frage zu stellen.

Stefan Liebich
(DIE LINKE):
Ich frage Sie, Herr Präsident, ob ich jetzt eine Frage zur angeblich mangelnden Integrationsbereitschaft stellen darf. Vorhin haben wir über Zwangsheirat gesprochen. Das sind meiner Ansicht nach zwei verschiedene Themen. Deswegen hatte ich mich vorher nicht gemeldet und möchte meine Frage an dieser Stelle stellen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das ist dem vorherigen Themenkomplex zumindest sehr nahe. Bitte stellen Sie Ihre Frage.

Stefan Liebich (DIE LINKE):
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister de Maizière, Sie haben im Zusammenhang mit den Regierungsentscheidungen zur angeblich mangelnden Integrationsbereitschaft auf das Beispiel Berlin verwiesen. Damit haben Sie viele Berlinerinnen und Berliner, die Berliner Landesregierung und mich als Berliner Abgeordneten überrascht. Deswegen habe ich dazu zwei Fragen: Wie beurteilen Sie, dass die langjährige Politik von SPD und Linkspartei in Berlin, die mehr Durchlässigkeit oder sogar die Überwindung des gegliederten Schulsystems zum Ziel hat, dazu geführt hat, dass wir eine Quote von Abiturienten und Fachabiturienten mit Migrationshintergrund in Höhe von 22 Prozent haben, während der bundesweite Durchschnitt bei nur 9 Prozent liegt? Wie beurteilen Sie, dass die Einführung von kostenfreien Kitaplätzen für drei- bis sechsjährige Kinder in Berlin dazu geführt hat, dass nahezu alle Kinder aus Migrantenhaushalten in Kitas gehen?

Dr. Thomas de Maizière,
Bundesminister des Innern:
Herr Präsident, lassen Sie diese Frage zu oder nicht? – Sie lassen sie zu. Dann möchte ich gerne darauf antworten.
Dass ich Sie überrascht habe, kann ich nicht ändern. Zur Sache möchte ich Folgendes sagen – das ist aus meiner Sicht ein ernster Punkt –: Das Motiv meiner Äußerung war nicht, mich in innere Angelegenheiten der Landespolitik in Berlin einzumischen oder Berlin zu stigmatisieren. Aber ich möchte nicht, dass die Erfolge der Integrationsarbeit überall im Land dadurch diskreditiert werden, dass immer wieder die Beispiele Neukölln und Wedding zitiert werden. Neukölln ist nicht überall in der Bundesrepublik Deutschland. Darauf wollte ich hinweisen. Die Berliner möchten sich bitte einmal an die eigene Nase fassen und überlegen, was sie tun können, statt immer nur zu überlegen, was andere tun können, um diese Zustände auch in Berlin zu verändern. Das war mein Beitrag.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Danke schön, Herr Bundesminister. Damit ist Ihre Aufgabe erfüllt.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.

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